Rückblick auf Diskussionsveranstaltung „Zukunft der Fernwärme“

Dieser Artikel ist eine Kopie des Beitrags in der Umweltzone vom BUND Berlin von Nicolas Šustr
Fotos: Paul Jerchel

Wie sollte die Neuauflage des Dekarbonisierungsfahrplans aussehen, damit Berlin in Zukunft ökologisch und sozial gerecht heizen kann? Was bedeutet das für die Fernwärmepreise und wie können sich die Berlinerinnen und Berliner an der Zukunft der Fernwärme beteiligen? Das sind die großen Fragen beim Diskussionsabend „Zukunft der Fernwärme – ökologisch und sozial gerecht“ am 30. September im Kiezraum am Mehringdamm in Berlin-Kreuzberg.

Der Rückkauf des Berliner Fernwärmenetzes von Vattenfall durch das Land Berlin „war nur der erste Schritt, um die Wärmewende in Berlin grundlegend ökologisch und sozial gerecht zu gestalten“, sagt Moderator Björn Obmann von der Gesellschaft für Klima und Demokratie zu Beginn der Podiumsdiskussion am Dienstagabend. Es gehe nicht nur um technische Modernisierung. „Es geht um Klimaschutz, um Teilhabe und um bezahlbares Leben in unserer Stadt“, unterstreicht er. Schließlich schade jede Tonne CO2 dem Klima und gefährde die Zukunft kommender Generationen.

„Für uns steht aber auch fest, wir dürfen jetzt nicht die Falle treffen, in neue Abhängigkeiten zu beraten, in neue Brennstoffe zu investieren. Holz, Müll, Wasserstoff“, so Obmann weiter. Man wisse nicht, ob deren Ökobilanz eigentlich so viel besser sei. Und schließlich die große Frage: „Sind die Sachen eigentlich in zehn Jahren noch bezahlbar oder überhaupt verfügbar?“
Berlin müsse stattdessen auf echte erneuerbare Energien setzen. Auf Abwärme, auf Großwärmepunkte, Geothermie, Power to Heat.  „Und Berlin muss beweisen, Klimaziele und bezahlbare Wärme schließen sich nicht aus, sondern bedingen einander“, sagt Obmann. Berlin Erneuerbar fordert daher einen klaren Fahrplan für den Ausstieg aus den fossilen Energien und den Einstieg in die echten Alternativen. Eine soziale Preisregulierung und Schutz der Mieterinnen und Mieter und Mitbestimmung und Transparenz durch echte Beteiligungsgremien für die Bürger.

Unser Podium an diesem Abend: Björn Obmann (Gesellschaft für Klima und Demokratie), Christine Kühnel (Reiner-Lemoine-Institut), Franziska Giffey (Wirtschaftssenatorin), Neelke Wagner (PowerShift), Markus Kamrad (Verbraucherzentrale), Susanne Huneke (Berliner Energie und Wärme (BEW))

Fernwärme als zweischneidiges Schwert

„Fernwärme ist ein zweischneidiges Schwert“, sagt Christine Kühnel, Geschäftsführerin des Reiner-Lemoine-Instituts. Einerseits sei sie ein mächtiges Instrument zur Dekarbonisierung, andererseits ist die Umsetzung einer klimaneutralen Fernwärme in einer so verdichteten Stadt wie Berlin „unglaublich schwierig“.
Mit einem Stand der Zielerreichung bei der Dekarbonisierung der Fernwärme kann Kühnel nicht dienen. „Ich habe nichts dazu gefunden“, sagt sie. Nur für etwa 16 Prozent der Baublöcke Berlins werde laut verkürzter Wärmeplanung des Senats die Einzelversorgung jenseits zentraler Netze empfohlen. Das entspreche sechs Prozent des Wärmebedarfs der Stadt. Hier sei die Wärmepumpe gefragt.

Woher die klimaneutrale Wärme nehmen?

7700 Megawatt Leistung liefert das Berliner Fernheizenetz, was 9600 Gigawattstunden pro Jahr entspreche, so Kühnel. Wie groß die Aufgabe der Dekarbonisierung ist, verdeutlicht sie an einzelnen Projekten. Mit einer Flusswärmepumpe in der Spree erzeuge der Versorger BTB rund sieben Megawatt. Die geringe Wasserführung der Spree schränkt die Potenziale erheblich ein. „Wir haben kein Meer“, sagt sie.
Das größte Potenzial scheint in Berlin in der Nutzung von Abwärme zu liegen – aus Rechenzentren, industriellen Prozessen, Abwasser. Bis zu 3800 Gigawattstunden ließen sich damit erreichen, legen Studien nahe.
Wärmespeicher seien dabei eine wichtige Technologie. „Da kommen wir in den Bereich der großen Speicher, der Erdbeckenspeicher“, so Kühnel. In Dänemark würden diese „schon sehr lange und sehr umfassend“ genutzt. Jedoch haben diese einen enormen Platzbedarf. Eine andere Lösung seien Aquiferwärmespeicher, bei denen Grundwasserschichten genutzt werden.
Eine Studie ihres Instituts hätte für solche saisonalen Langzeitspeicher eine Wärmespeicherkapazität von bis zu 440 Gigawattstunden ergeben.
Essenziell für die Wärmewende ist der erhebliche Ausbau der Kapazitäten des Stromnetzes. 26 Anschlussbegehren für Rechenzentren gebe es, deren Abwärme für die Fernwärme genutzt werden könnten. Ein einziges Rechenzentrum habe einen Strombedarf, der ungefähr dem der ganzen Stadt Cottbus entspricht.
Im Nachgang der Veranstaltung gab es Kritik an den genannten Zahlen. So ist im Dekarbonierungsfahrplan von Vattenfall 2023 von einer Spitzenlast von 3,4 Gigawatt die Rede, die an wenigen Tagen im Jahr erreicht werden muss. Relevant ist eher ein Niveau bis 2 GW das an deutlich mehr Tagen erreicht werden muss.

Versorgungssicherheit an erster Stelle

„Versorgungssicherheit als Grundlage für alle anderen Ziele“, unterstreicht Wirtschafts- und Energiesenatorin Franziska Giffey (SPD). „Und was gehört auch dazu? Es gehört dazu, dass wir eine faire Preisgestaltung hinbekommen, auch in Zukunft. Und es gehört dazu, dass wir aber eben auch investieren in das, was nötig ist, um die Transformation zu ermöglichen“, so Giffey weiter.
Dafür würden bei der Berliner Energie und Wärme (BEW) in den nächsten Jahren über 2,5 Milliarden Euro investiert. „Das ist das größte Investment, was wir tun in unserer Stadt, um tatsächlich diese Dekarbonisierung hinzubekommen“, sagt Giffey. Im Jahr 2026 soll die kommunale Wärmeplanung vorliegen. Ende 2025 soll es ein „erster Aufschlag“ für den neuen dekarbonisierungsfahrplan der BEW vorliegen, so die Senatorin weiter.

Möglichst keine Preisüberraschungen

Susanne Huneke unterstreicht am Beispiel des Kohle-Heizkraftwerks Reuter-West die Größe der Aufgabe der Dekarbonisierung. 40 bis 50 Prozent der Wärme für den West-Berliner Teil des Fernwärmenetzes würden derzeit dort produziert, so die Leiterin Strategie, Politik & Regulierung bei der Berliner Energie und Wärme (BEW). „Wir kriegen das alles gar nicht am Standort Reuter-West ersetzt. Das heißt, ein Teil dieses Ersatzes findet auch noch in Charlottenburg statt.“
Huneke schildert auch, wo man nach der Rekommunalisierung umgesteuert habe. Seit dem laufenden Jahr würden beispielsweise die Fernwärmepreise nicht mehr jedes Quartal angepasst, sondern nur einmal jährlich. Dadurch verhindere man hohe Nachzahlungen durch Preisänderungen ohne Anpassung der Abschläge. Letztlich ist dieser Schritt möglich, weil die Beschaffungsstrategie für Brennstoffe geändert worden ist. Der gesamte Bedarf für das kommende Jahr wird jeweils frühzeitig gesichert. Unter Vattenfall ist ein großer Anteil nur kurzfristig beschafft worden, was hohe Preisausschläge zur Folge haben konnte.

Problemfälle Holz und Wasserstoff

Neelke Wagner von Berlin Erneuerbar geht noch einmal auf den viel kritisierten Dekarbonisierungsfahrplan von Vattenfall ein – in dem große Anteile der Wärmeerzeugung durch Verbrennung von Holz und Wasserstoff erfolgen sollten. „Wo noch Löcher waren, wurde halt einfach Wasserstoff reingestellt, ohne dass man weiß, ob man den jemals hat“, beschreibt sie den Eindruck, den diese Strategie erzeugte. Abgesehen davon, dass Holzverbrennung nur auf dem Papier klimaneutral ist, birgt sie große ökonomische Risiken. „In Leipzig legen sie jetzt ihre Holzkraftwerke still, weil die Holzpreise so durch die Decke gehen, und sie sich das nicht mehr leisten können“, berichtet Wagner.
„Wenn der Wasserstoff in den Mengen nicht kommt, wird einfach weiter Gas verheizt“, beschreibt Neelke Wagner das drohende Szenario. „Und wenn der Wasserstoff wie derzeit geplant in großen Mengen aus dem globalen Süden importiert werden wird, ist es sehr wahrscheinlich, dass es auch sehr stark zulasten der Menschen dort und auch der Energiewende dort gehen wird.“

Wie faire Preise finden?

Markus Kamrad, Vorstand der Verbraucherzentrale Berlin weist darauf hin, dass in den letzten Jahren die Energiepreise nicht wegen der Dekarbonisierung gestiegen sind, sondern unter anderem wegen des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine. Künftige Energiepreise seien jedoch insgesamt sehr schwer zu prognostizieren. „Die Frage bei der Fernwärme ist eher: wie finden wir faire Preise?“, sagt Kamrad. Die gesellschaftlich richtigen Investitionen müssten ja von irgendjemandem refinanziert werden. Die Monopolsitiation der Fernwärme sei für Verbraucherschützer  herausfordernd.  „Es gibt nur einen Anbieter. Man kann total schlecht ausweichen, weil wenn man einmal einen Fernwärmevertrag hat, dann ist man langfristig gebunden“, so Kamrad weiter.
Energiesneatorin Franziska Giffey verspricht für die Fernwärme, „dass wir niemals Gewinnmaximierung nach vorne stellen“, die BEW solle aber wirtschaftlich arbeiten können. Sie kündigt an, dass die Fernwärmepreise 2026 kaum steigen werden: „Ich kann heute noch nicht sagen, wie viel es ist, aber es wird ein sehr, sehr, sehr geringer Betrag, viel weniger als wir dachten.“
„Die BEW in wohlmeinender rekommunalisierter Hand ist schon mal eine notwendige Bedingung für eine gute und faire Fernwärme, aber es ist nicht ganz hinreichend. Noch schöner wäre es , wenn wir uns auf ganz konkrete Regeln und Lösungen verständigen würden“, sagt Verbraucherschützer Kamrad.

Zu viel Finanzlogik

Mit der Maxime des kostendeckenden Arbeitens bei der BEW „sind wir sehr stark in so einer Logik des finanziell Machbaren“, bemängelt Neelke Wagner von Berlin Erneuerbar. „Wenn man nicht so viel machen kann, dann macht man halt nicht zu viel. Und wir sind sehr stark in einer Logik, dass diese große Aufgabe, diese Wärmenetze zu dekarbonisieren, komplett letztlich von den Kundinnen und Kunden refinanziert wird“, führt sie aus.
Susanne Huneke von der BEW macht darauf aufmerksam, dass nicht nur Kapitalzuführungen benötigt werden. „Es ist für uns eher schwieriger, gerade Komponenten zu bekommen, Ingenieure zu bekommen, Tiefbauer zu bekommen, Stromnetzenkapazität zu bekommen. Das sind Sachen, die uns viel mehr limitieren.“
Wie denn nun weitergemacht werden soll, will Neelke Wagner von Berlin Erneuerbar wissen. „Sowohl wie dann das Stromnetz auch entsprechend ertüchtigt werden kann, wie vielleicht auch die Planung verbessert werden kann, wie vielleicht auch das Fernwärmenetz dezentraler werden kann?“ Was seien da die Möglichkeiten, wie dieses große, mächtige, fossile Fernwärmenetz ein bisschen dezentraler und halt angepasster an erneuerbare Wärmefelder werden kann?

Bisher kein Szenario ohne Verbrennung

Einmal gebe es alles, was die Elektrifizierung uns bringt und dann gebe es den großen Rest der benötigten Wärmeproduktion, sagt Susanne Huneke von der BEW. „Noch sehen wir kein Szenario, wo wir das ohne Verbrennung schaffen werden“, sagt sie über den großen Rest. Was nicht heiße, dass man sich das nicht wünsche.
Nötig sein ein „massiver Stromnetzausbau“, und zwar noch viel mehr als auf die vier Gigawatt Leistung, die bis 2035 angepeilt sind. Man sei schon jetzt beim Stromnetz in einer Mangelverwaltung. Bis jetzt habe man auch noch kein geeignetes Grundstück für einen Erdwärmespeicher.
„Die größte Unbekannte und das größte Potenzial, auf das wir hoffen und optimistischer sehen, als 2023, ist die tiefe Geothermie“, sagt Huneke. Im besten Fall könnten mit 20, 30 Bohrungen bis zu 300 Megawatt Wärmeleistung bringen. „Das ist schon richtig doll viel.“ Dafür müsse allerdings auch viel Geld in die Hand genommen werden.

Die Frage der Beteiligung

Was die BEW bei Aufstellung des neuen Dekarbonisierungsfahrplans anders gemacht habe als Vattenfall sei der Versuch gewesen, „verschiedene Akteure abzuholen“, schildert Huneke. Und nennt Umweltverbände, Verbraucher*innenvertreter, die Wohnungswirtschaft, Hochschulen, die Verwaltung, die Fernwärme-Regulierungsbehörde und die Investitionsbank Berlin. 19 verschiedene Akteursvertreter*innen seien eingeladen. „Das ist natürlich nicht die ganze Stadt, aber wir haben versucht, so viele Perspektiven auf das, was wir tun, zu vereinen und erst mal an einen Tisch zu holen, in einer Größe, die wir gerade noch für dialogfähig halten“, sagt Huneke.
„Ich glaube, umso wichtiger ist es ja, dass sich Bürgerinnen und Bürger organisieren und dass wir auch eine Ansprechstruktur haben, die wir dann einladen können“, sagt Senatorin Giffey. „Wir können nicht mit 4 Millionen Menschen sprechen, aber wir können mit Vertretern sprechen, die für bestimmte Interessen in der Stadt stehen.“